Industrie und Klimaschutz

Als Bürgermeisterin und Betriebswirtin will ich die Unternehmen in München unterstützen und einen Rahmen schaffen, in dem sie prosperieren können. Ich bin aber auch Grüne, die im Klimawandel die größte Bedrohung für uns und vor allem unsere Kinder sieht. Industrie und Klimaschutz, ist das ein Widerspruch? Nein, ganz im Gegenteil. Es ist vielmehr eine Bedingung.

Im Rathaus lade ich meinen Dienst-I3 an einer Wallbox.

Mein letzter Blogeintrag aus Kopenhagen stammt vom Februar 2020, das ist zugegeben ein bisschen her. Ich habe mir vorgenommen, künftig wieder regelmäßig aufzuschreiben, was mich umtreibt, was gerade im Rathaus passiert und welche Themen aus meiner Sicht besprochen werden müssen. Heute soll es um Industrie- und Klimapolitik gehen und den vermeintlichen Gegensatz, den viele Politiker*innen damit verbinden.

Die deutsche Industrie war in den vergangenen 70 Jahren das Rückgrat unseres Wohlstands, und sie ist es immer noch – ich sage ganz bewusst: noch. In München gibt es mehrere Industrie-Unternehmen von Rang und Namen: BMW, Siemens, MAN, MTU, Linde, Knorr-Bremse, um nur die prominentesten aufzuzählen. Die Stadt hat immer gewusst, was sie an ihren Global Playern hat. Sie bieten gut bezahlte Jobs, bezahlen Steuern und haben unsere Stadt geprägt. Die Unternehmen wiederum profitieren vom Standort München mit seiner hohen Lebensqualität, seinen Universitäten, Kunst-, Kultur- und Freizeitangeboten, der Infrastruktur. Diese Symbiose ist das Geheimnis von Münchens wirtschaftlichem Erfolg. Als Bürgermeisterin und Diplom-Betriebswirtin will ich die Unternehmen in München unterstützen und einen Rahmen schaffen, in dem sie prosperieren können. Ich bin aber auch Grüne, die im Klimawandel die größte Bedrohung für uns und vor allem unsere Kinder sieht. Ist das ein Widerspruch?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt: Nur durch eine ökologische Ausrichtung wird unsere deutsche Wirtschaft auch in Zukunft wettbewerbsfähig sein und auf dem Weltmarkt bestehen können. Die notwendige ökologische Transformation ist eine riesige Chance für unsere Münchner Wirtschaft. Dazu ein paar Gedanken.

Der Bedeutungsverlust der ingenieurgeprägten deutschen Wirtschaft, wie wir sie kennen, ist in vollem Gange. Es sind inzwischen die digitalen Großkonzerne, die die Märkte unter sich aufteilen, und sie alle haben zwei Dinge gemeinsam: sie strotzen vor Innovationskraft und sie stammen nicht aus Deutschland. Digital sind wir ein Entwicklungsland. Das zeigt sich nicht nur, wenn man die Rankings der wertvollsten Firmen der Welt ansieht (fast alle digital ausgerichtet und amerikanisch, unter den Top 100 ist mit SAP nur noch ein deutsches Unternehmen). Das zeigt sich auch im täglichen Deutschland: Der für die Wirtschaft so essentielle Breitbandausbau stockt, und das nicht nur auf dem Land, selbst in München gibt es nicht überall schnelles Internet (bei mir in Aubing kann ich ein Lied davon singen). Die digitale Ausstattung der Schulen ist für ein Land, dessen einzige Ressource Bildung ist, eine Farce. Dass in unseren Gesundheitsämtern das Faxgerät immer noch zum Kommunikationsstandard zählt, hat sich bei der Pandemiebekämpfung als fatal erwiesen. Auch beim 5G-Ausbau, der maßgeblich sein wird für autonomes Fahren oder vernetzte Fabriken, droht Deutschland den Anschluss zu verlieren.

Die deutsche Industrie ist eine Erfolgsgeschichte und hat unserem Land und vielen Menschen Wohlstand gebracht. Sie droht aber international den Anschluss zu verpassen, und das ist auch der Politik anzukreiden. Deutsche Wirtschaftspolitik beschränkte sich in den letzten 15 Jahren auf das Bedienen von Lobbyinteressen, auf das Verwalten und Beschönigen des Ist-Zustandes. Es wurde versäumt, ein modernes Leitbild zu erschaffen, in dem Digitalisierung, Bildung, Pioniergeist und Nachhaltigkeit die entscheidenden Kriterien sind. Die alte deutsche Ingenieur-Geschichte wirkt auserzählt.

Die Bundesreigerung hat es verschlafen, die richtigen Schlüsse aus dem Klimawandel und der sich verändernden Märkte zu ziehen. Leider gilt das auch für viele Manager, die zu lange an alten Geschäftsmodellen festgehalten haben, statt neue zu entwickeln. Unsere Autoindustrie war jahrzehntelange technologisch führend. Inzwischen hat sie ihren Vorsprung verspielt und läuft dem vormals belächelten und inzwischen gefürchteten Tesla hinterher. Das kalifornische Unternehmen hat sich im Bereich Digitalisierung und autonomes Fahren einen Vorsprung erarbeitet, der kaum noch einzuholen ist. Nicht umsonst ist der Börsenwert Teslas inzwischen größer als der aller deutschen Automobilhersteller zusammen.

Veränderungen, das gilt auch für marktverändernde, kündigen sich nicht Jahre vorher an. Sie passieren plötzlich, eruptiv. Die Marktdurchdringung der Smartphones wenige Jahre nach der Vorstellung des ersten I-Phones ist das beste Beispiel. Wisst ihr noch, wie früher alle Nokia-Handys hatten und dann auf einmal nur noch I-Phones? Wie schnell Veränderungen einen überrumpeln können, wenn man sie nicht antizipiert, erleben auch deutsche Industrie-Zweige.

In wenigen Jahren schon werden Autos mit Verbrennungs-Motor in vielen Ländern nicht mehr verkauft werden dürfen. Man darf davon ausgehen, dass die Kunden dieses Verbot zum Anlass nehmen, bereits Jahre vorher vom Kauf eines konventionellen Verbrenner-Autos abzusehen. Viele Märkte werden schon bald für Verbrenner tot sein.

Der Bundespräsident sagte im Februar in einer Rede, das Auto müsse sich zum Smartphone auf Rädern wandeln. Wenn der Bundespräsident der deutschen Industrie ins Gewissen redet, sollten alle Alarmglocken schrillen. An Roman Herzogs Ruck-Rede dürften sich die Älteren von uns erinnern. Damals galt Deutschland als kranker Mann Europas.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr, heißt es bei Rilke. Übersetzt auf die deutsche Industrie lautet der Satz: Wer jetzt keine digital-ökologische Strategie hat, der wird es schwer haben in der globalisierten Wirtschaft. Es ist höchste Eisenbahn.

Aufgrund meiner politischen Prägung und beruflichen Ausbildung stehe ich für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs. Aber klar muss dabei immer sein: Wohlstand darf nicht länger auf Kosten künftiger Generationen generiert werden. Rund die Hälfte des klimaschädlichen CO2, das die Menschheit seit der industriellen Revolution freigesetzt hat, wurde nach 1990 emittiert, etwa 20 Prozent erst nach 2009. Wir müssen dringend umsteuern. Es gibt keinen Planeten B, aber es gibt die Möglichkeit, erfolgreich nachhaltig zu wirtschaften.

Besonders in unsere Münchner Unternehmen setze ich große Hoffnung. Beispiel BMW: Dort war das Management vorausschauender als viele Konkurrenten, setzte früher auf Elektro-Mobilität und investiert inzwischen auch in nachhaltige Akkus. Auch MAN hat die Zeichen der Zeit erkannt und arbeitet an vollautomatisierten Lkw sowie an Wasserstoff-Technik. Auch im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik wächst in München ein ganz neuer Industriezweig mit Potential heran. Die Politik muss die Unternehmen bei ihren Transformationsprozessen unterstützen, ich denke da an die Ladeinfrastruktur in Deutschland, den Ausbau von 5G, die Beschleunigung von Verwaltungsprozessen und ein Ende der Bedenkenträgerei-Mentalität. Ich sage bewusst unterstützen, nicht unterwerfen.

Einen Satz zum sozialen Aspekt von Klimaschutz muss ich an dieser Stelle noch loswerden, weil mich der wiederkehrende Vorwurf wirklich ärgert. Klima- und Umweltschutz sind keine „Latte-Macchiato-Themen“ für wohlhabende Schwabinger Altbau-Grüne! Um es ganz klar zu sagen: Die Klimakrise wird vor allem Ärmere mit voller Wucht treffen, denn sie können sich im Gegensatz zu betuchteren Menschen den Hitzesommern, Unwettern und übrigen Folgen der Klimakrise viel schwerer entziehen. Und ja, diese Phänomene gibt es bereits ganz deutlich in München zu spüren – und sie werden jedes Jahr schlimmer werden.

München mit seiner Metropolregion ist einer der wohlhabendsten Ballungsräume Europas. Der Schlüssel unseres Wohlstands sind die vielen erfolgreichen Unternehmen, die sich in und um München angesiedelt haben. Ohne ihre Gewerbesteuern könnten wir uns keine Schwimmbäder, Seniorentreffs, Bibliotheken, Straßen und Spielplätze für unsere Bürger*innen leisten. Ohne diese Unternehmen könnten wir unser soziales Netz, unsere besondere Münchner Mischung nicht aufrechterhalten. Und ohne dieses Geld schaffen wir es nicht, unsere Stadt klimaneutral umzubauen.

Münchens als Industrie- und Wirtschaftsstandort zu erhalten und zukunftsfest zu machen, muss unser gemeinsames politisches Ziel sein. Das wird aber nicht funktionieren, indem wir Wirtschaft und Klimaschutz gegeneinander ausspielen. Ich persönlich glaube auch, dass die meisten Leute politischer Spielchen überdrüssig sind. Die Menschen schätzen es, wenn Politik sachorientiert arbeitet. Das spiegelt sich dann auch in den Wahlergebnissen.

Ich glaube, dass die Bundestagswahl zur entscheidenden Zäsur wird – in ökologischer und ökonomischer Hinsicht. Die GroKo-Bräsigkeit muss endlich abgelöst werden durch ein progressives Bündnis. Deutschland braucht eine neue Industriepolitik. Das bedeutet für mich: Innovationen gegenüber aufgeschlossen sein, an der Spitze des Fortschritts zu stehen, nicht nur Bedenken zu tragen, sondern Ideen anzubieten, groß zu denken, Scheitern als Teil des Fortschritts zu verstehen, Technologie nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen und dabei immer Verantwortung für Menschen und Umwelt gerecht zu werden.

Ich habe im Wahlkampf bei einer Veranstaltung mal in die Runde gefragt, warum das nächste Google oder Facebook eigentlich nicht in einer Garage in Allach oder Laim entstehen könnte. Dafür hab ich mitleidiges Schmunzeln geerntet. Aber es ist mir ernst. Wir dürfen nicht nur die Jobs von heute sichern, sondern müssen ein Klima schaffen, in dem die Jobs von morgen entstehen können. Ich will mithelfen, die 20er Jahre zu einem Jahrzehnt des Aufbruchs zu machen, hin zu einer nachhaltigen und wirtschaftlich erfolgreichen Zukunft, von der alle Münchner*innen profitieren. Zukunft braucht Mut. Unser altes Wahlkampfmotto trifft es immer noch ganz gut.

Herzliche Grüße

Eure Katrin