Europa. Ein Wort, viel Interpretationsspielraum. Für jeden von uns bedeutet Europa etwas anderes. Lest hier, was Europa für mich persönlich und als Münchens Bürgermeisterin bedeutet.
Jedes Jahr darf ich als „Europabürgermeisterin“ Schirmherrin der städtischen Europafeierlichkeiten sein – allen voran der Münchner Europa-Mai. Und wenn ich sage „darf“, dann meine ich das auch so, denn es ist mein klarer Anspruch, europäische Themen in München während dieser Amtszeit voranzutreiben.
Viele von Euch fragen sich vielleicht, warum es die EU überhaupt braucht oder warum gerade München sich auf europäischer Ebene engagiert. Die Antwort ist einfach: Wir brauchen heute mehr denn je grenzübergreifende Systeme, auf die wir uns verlassen können. München ist ein kleiner Teil Bayerns und Deutschlands und nur ein Mosaiksteinchen auf der Europakarte. Und genau deswegen kann München, aber kann auch dieser Kontinent sein volles Potential nur in einem kooperativen System ausschöpfen.

Das zeigt dann auch ein Blick in die Vergangenheit: Ich schätze mich als eine sehr glückliche Person ein, denn ich musste im Laufe meines Lebens keinen Krieg am eigenen Leib erfahren. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es den Generationen unserer Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern damit ging, einen oder womöglich sogar beide Weltkriege zu durchleben.
Bereits während der zweite Weltkrieg noch wütete, stellte der Franzose Jean Monnet seine Vision vor, wie sich ein nachhaltiger Frieden in Europa herstellen ließe. Das oberste Ziel dieser Überlegungen war: Sicherheit für alle. Und zu erreichen war dies laut Monnet nur durch eine europäische Föderation, deren Kern eine gemeinsame Wirtschaftseinheit bilden sollte Der zugegeben etwas nüchterne Hintergedanke dabei war, dass sich Nationen im Falle einer wirtschaftlichen Verbundenheit durch gegenseitige Angriffe selbst so viel Schaden zufügen würden, dass sich ein militärisches Eingreifen in Zukunft gar nicht mehr lohnen würde. Heute wissen wir: Die Idee hat funktioniert und damit wurde der Grundstein für die spätere EU gelegt. Europa ist also nicht nur mein ganz persönliches Herzensprojekt, sondern auch ein Friedensprojekt.
Mit diesen Gedanken im Hinterkopf sollten wir auch in die Zukunft schauen: Als zweifache Mutter wünsche ich mir, dass meine Kinder, Enkel, Urgroßenkel in einem friedlichen Umfeld aufwachsen. Zunehmende Abspaltungstendenzen, die im Falle Großbritanniens zu einem Austritt aus der europäischen Gemeinschaft geführt haben, bereiten mir große Sorge. Abspaltungen von der EU sind immer auch Abspaltungen von der Idee einer europäischen Gemeinschaft. Nationalistischen Bestrebungen wie diesen müssen wir jedoch nicht nur aus sicherheitspolitischen, sondern auch aus wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gründen entgegenwirken.
Wir müssen dabei an die jungen Menschen denken, an die zukünftigen Generationen, die durch von der EU geförderte Projekte wie das Erasmus+ Programm immer häufiger grenzübergreifend zusammenkommen. Nun wird vor allem das Erasmusprogramm auch immer wieder als kostspieliges Luxusreiseprogramm abgekanzelt. Ich sehe das vollkommen anders: Offene Grenzen und Auslandsaufenthalte dieser Art erweitern den Horizont und füllen die manchmal vielleicht etwas abstrakte Idee der europäischen Einheit mit tatsächlichen Erfahrungen. Wer einmal längere Zeit im Ausland gelebt hat, die Sprache gelernt und den Alltag der Menschen vor Ort kennengelernt hat, wird immer eine besondere Verbindung zu dieser Stadt und diesem Land im Herzen tragen und sich nicht so leicht von Vorurteilen und populistischen Äußerungen überzeugen lassen. Die Coronakrise hat uns vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn diese Freiheiten plötzlich nicht mehr existieren. Und ich wage zu behaupten, dass sich niemand eine solche nationale Abgrenzung zurückwünscht.
Als Betriebswirtin ist mir aber auch Folgendes wichtig: Offene Grenzen bedeuten im Europäischen Binnenmarkt auch Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Diese Freiheiten bieten auch im wirtschaftlichen Sinne enorme Entwicklungschancen. Besonders die Personenverkehrsfreiheit bereichert auch Städte wie München. Bürgerinnen und Bürger der EU können hier problemlos leben und arbeiten. München profitiert dabei sowohl von der zusätzlichen Arbeitskraft als auch von dem zusätzlichen Wissen, das durch den regen Austausch in die hier ansässigen Unternehmen fließt. Internationalität steht für Diversität und Vielfalt und sorgt für neue Impulse und Innovationen. Nicht umsonst setze ich mich kontinuierlich dafür ein, dass München sich noch internationaler ausrichtet. Nur so können wir den Arbeits- und Wirtschaftsstandort München auch zukünftig attraktiv halten. Als europäische Weltstadt mit Herz sollte München neben einem humanistischen Selbstverständnis daher auch immer Geflüchtete und Bürgerinnen und Bürger aus Nicht-EU Staaten willkommen heißen und alles dafür tun, dass diese Menschen in unserer Stadt schnellstmöglich ankommen und eine Zukunft aufbauen können.
Die größte Herausforderung, der sich Europa stellt und auch in Zukunft verstärkt stellen muss, ist der Weg in eine nachhaltige Zukunft. Wir brauchen hier eine starke EU, die uns übergeordnete Ziele setzt. Das entscheidende europäische Projekt der nächsten Jahre ist dabei der European Green Deal, der vorsieht, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Für München ist es wichtig, diese Zielvorgaben zu haben, aber noch wichtiger ist es, dass die Stadt ihren Teil zum großen Ganzen beiträgt. Um diesen Beitrag leisten zu können, braucht es aber auch wiederum Unterstützung von der EU.
Hierzu ein Beispiel: München hat sich in Anlehnung an den Green Deal das Ziel gesetzt, bis 2035 gesamtstädtisch klimaneutral zu sein. Aber der Weg zu einer klimaneutralen Stadt ist kein einfacher, und kostet vor allem Geld. Geld, das ein städtischer Haushalt in der aktuellen Situation nicht hergibt. München profitiert in diesem Fall extrem von den EU-Fördergeldern, die im Rahmen des Green Deals zur Verfügung stehen und die es durch Teilnahme an Ausschreibungen abzurufen gilt. Durch die Beteiligung an EU-Projekten profitiert München nicht nur finanziell, sondern gestaltet auch Innovationen mit. Aktuell ist die Stadt an ca. 65 EU-Projekten beteiligt, für die sie rund 42 Millionen Euro erhält. Ich habe es mir persönlich zum Ziel gesetzt, so viele externe Gelder nach München zu holen wie nur möglich. Nur so können wir bestehende Finanzierungslücken auch kurzfristig schließen und wertvolle Zukunftsprojekte umsetzen, die allen Bürgerinnen und Bürgern Münchens zugutekommen.
Doch Europaarbeit spielt in München nicht nur aus finanziellen Gründen eine wichtige Rolle. Viele politisch relevanten Weichenstellungen gehen von Europa aus und betreffen über kurz oder lang die Kommune. München möchte diese Weichenstellungen natürlich so gut es geht im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger beeinflussen, und dafür braucht es ein Engagement Landeshauptstadt, das in Brüssel wahrgenommen wird.
Die Stadt München profitiert darüber hinaus von einem regelmäßigen Austausch mit ihren Partnerstädten und weiteren europäischen Kommunen. Durch kontinuierliche Netzwerkarbeit kommen sowohl Politikerinnen und Politiker als auch Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter regelmäßig in Kontakt. Warum zum Beispiel fahren in Kopenhagen so viele Menschen mit dem Rad oder wieso geht in französischen Städten der Bau von Straßenbahnen so viel schneller als in deutschen Kommunen? Es gibt viele Bereiche, in denen München von anderen Städten etwas lernen kann. Daher nehme auch ich regelmäßig an den Gipfelsitzungen teil, beispielsweise an denen des Städtenetzwerks Eurocities, oder bringe mich in die Netzwerktreffen der Europäischen Grünen Partei ein. Ich bin aktuell dabei, ein eigenes grünes Bürgermeisterinnennetzwerk aufzubauen, bei dem die kritischen Themen unserer Städte diskutiert und gemeinsame Lösungen erarbeitet werden können.
Ich möchte Euch aber auch meine kritischen Gedanken nicht vorenthalten. Auch wenn ich mich als absolute Pro-Europäerin bezeichnen würde mag ich nicht leugnen, dass ich nicht alles an der EU toll finde. Selbst die größten Europafans, mit denen ich aufgrund meiner Arbeit häufig ins Gespräch komme, üben Kritik – und diese Kritik ist absolut wichtig und willkommen. Die EU braucht Reformen! Beispielsweise bin ich keine große Verfechterin des Einstimmigkeitsprinzips, denn wir haben in der Vergangenheit häufig beobachtet, welche Blockaden sich hierdurch ergeben können. Fortschritt wird auf diese Weise zum Leiden aller blockiert. Auch Irland zieht immer wieder das Veto, wenn es um einen Mindeststeuersatz in allen Mitgliedsländern geht, der auch die großen in Irland ansässigen Firmen wie Google oder Facebook betrifft. Und der laxe Umgang mit anti-demokratischen europäischen Staaten wie Ungarn oder Polen, die regelmäßig gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen, erschließt sich mir nicht. Ich kann also durchaus auch nachvollziehen, dass viele mit der EU Verordnungswut oder mangelnde Durchsetzungskraft verbinden. Aber trotz ihrer Mängel wären wir ohne die EU heute nicht da wo wir sind, und dafür bin ich dankbar.
Europapolitik muss meiner Meinung nach in München eine deutlich wichtigere Rolle einnehmen als bisher. Auf diese Aussage haben meine Partei und ich mich im Koalitionsvertrag von 2020 festgelegt. Mir ist wichtig, dass die Münchnerinnen und Münchner auch die positiven Seiten der EU sehen können, dass sie sich mit Europa identifizieren und froh darüber sind, auf diesem einzigartigen Kontinent leben zu dürfen. Deswegen liegt es mir auch am Herzen, ein Europahaus als europäische Begegnungsstätte in München einzurichten. Kommunen sind diejenigen Einheiten, die am nächsten an den Bürgerinnen und Bürgern dran sind. Als Kommune ist es daher unsere Aufgabe, den Münchnerinnen und Münchnern zu vermitteln: Europa ist für alle da.
Herzliche Grüße
Eure Katrin